Margetshöchheimer Start-Up gewinnt Innovationspreise für digitale Barrierefreiheit

Menschen mit Einschränkungen treffen nicht nur im realen Leben auf Barrieren, sondern auch im digitalen Raum. Das Margetshöchheimer Start-Up Web Inclusion hat mit "Eye-able" ein erfolgreiches Tool entwickelt, mit dem jede Webseite ganz einfach und kostengünstig barrierefreier gemacht werden kann. Dafür haben die vier Gründer wichtige Innovationspreise gewonnen.

Für Menschen mit Behinderungen kann auch das digitale Leben voller Hindernisse stecken. Laut Aktion Mensch spielt digitale Barrierefreiheit für fast ein Drittel aller InternetnutzerInnen in Deutschland eine wichtige Rolle, für circa 10% der Bevölkerung ist sie sogar essentiell - sei es wegen einer Sehbehinderung, motorischer Einschränkungen oder beispielsweise einer Lese-Rechtschreibschwäche. Dabei lassen sich Barrieren bei der digitalen Nutzung ganz einfach abbauen, wie das Margetshöchheimer Start-Up Web Inclusion GmbH beweist. Die vier Gründer haben ein Online-Tool namens "Eye-able" (zu deutsch etwa "Augen-nützlich") entwickelt, das auf jeder Internetseite und von jedem Unternehmen und jedem Nutzer einfach und kostengünstig installiert werden kann; das Tool umfasst mehr als 25 Funktionen, mit denen eine Webseite mit wenigen Klicks an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden kann, etwa durch größere Schrift, schärfere Kontraste oder eine Vorlese-Funktion. "Unsere Vision ist ein Internet für alle Menschen", erzählt der 27-jährige Gründer Tobias Greiner im Interview über seine Motivation. Schließlich gelte der Zugang zu Informationen und Kommunikation sogar als von der UN verbrieftes Menschenrecht.

Mit Innovation zum Erfolg made in Marokko (von links): Tobias Greiner, Chris Schmidt, Eric Braun und Oliver Greiner. (Foto: Web Inclusion GmbH)

Begonnen hat die Erfolgsgeschichte mit den beiden Brüdern Tobias und Oliver Greiner in der Margetshöchheimer Gartenstraße. Der mittlerweile 25-jährige Oliver ist seit seiner Kindheit mit Lennart Hessler befreundet, der von klein auf an einer Sehbehinderung leidet. Hautnah erlebte Oliver Greiner mit, auf wieviele teils unüberwindbare Hürden Hessler wegen seiner eingeschränkten Sehfähigkeit im deutschen Schul- und Bildungssystem stieß; sein Studium musste er wegen der Schwierigkeiten beim digitalen Arbeiten trotz aller Mühen schließlich abbrechen. Als Oliver Greiner an der Fachhochschule E-Commerce studierte, kam ihm die Idee, etwas entwickeln zu wollen, was bei einer Sehbehinderung hilfreich sein würde. Im Rahmen seiner Forschungsarbeit startete Greiner 2018 in Zusammenarbeit mit dem Veitshöchheimer Berufsförderungswerk und dem Würzburger Blindeninstitut Interviews und Tests mit Probanden, wie Internetseiten besser bedienbar werden könnten. Daraus entwickelte sich schließlich die Idee für eine eigene Software. Zusammen mit seinem Bruder Tobias (Informatik) und den Freunden Chris Schmidt (Design+E-Commerce) und Eric Braun (Wirtschaftswissenschaft) gründete Oliver Greiner im Jahr 2020 das Unternehmen Web Inclusion GmbH in Margetshöchheim. Seinen Hauptsitz hat das erfolgreiche Start-Up noch immer in der Gartenstraße, zusätzlich gibt es ein Büro in Würzburg. Derzeit arbeiten 10 feste MitarbeiterInnen sowie Studenten für Eye-able. Darunter sind auch etliche Menschen mit Behinderung wie Jugendfreund Lennart Hessler, der als Usability-Tester nun die Barrierefreiheit von Webseiten checkt.

Mit ihrem innovativen Tool ist die Web Inclusion GmbH im deutschsprachigen Raum äußerst erfolgreich: "Eye-able" wird jeden Monat schon von über 15 Millionen Menschen genutzt. Mittlerweile wurde "Eye-able" auf mehr als 10.000 Webseiten integriert, darunter bei der Deutschen Bank, dem Gesundheitsministerium NRW und dem FC St. Pauli bis hin zu kleinen Kommunen. "Der Bedarf ist groß, sowohl bei den NutzerInnen von Weboberflächen als auch bei den Betreibern von Webseiten", sagt Tobias Greiner. Öffentliche Webseiten müssen nach einer EU-Richtlinie sogenannte WCAG-Standards erfüllen; sie definieren die Anforderungen an Webinhalte, sodass diese für Menschen mit Behinderungen zugänglich sind (Blindheit / Sehbehinderung, Gehörlosigkeit / nachlassendes Hörvermögen, eingeschränkte Bewegungsfähigkeit, Sprachbehinderung, kognitive Einschränkung, Lernbehinderung, neurologische Behinderung und Kombinationen aus diesen, sowie für ältere Menschen und Menschen mit temporären Einschränkungen). Neben dem "Eye-able"-Tool haben die jungen IT-Experten deshalb jüngst auch eine Prüfsoftware entwickelt, die automatisiert abklärt, ob eine Webseite die Bedingungen erfüllt. Das Analysetool sei besonders für Webmaster interessant und für Städte und Gemeinden wichtig, weil diese die Konformität einhalten müssen, so Greiner. Die Assistenzsoftware "Eye-able" kann ganz leicht entweder auf einer Webseite oder im Browser installiert werden und macht die Nutzeroberflächen dann barrierefreier, indem sie verschiedene Einstellungen erlaubt. So kann man beispielsweise die Schrift und Schriftgröße anpassen, Kontraste oder Farben verändern oder eine Vorlese-Funktion nutzen. Seit kurzem ist "Eye-able" auch auf der neuen Gemeinde-Homepage verfügbar. Sie finden den rot-weißen Button mit Mensch-Symbol am rechten Seitenrand. Wenn Sie darauf klicken, öffnet sich das Menü mit den verschiedenen Einstellungen zur individuellen Anpassung der Webseite. Auf dem Margetshöchheim Blog wird "Eye-able" ebenfalls in Kürze installiert. 

Auf der Gemeinde-Homepage ist die "Eye-able"-Software inzwischen integriert. Es ist der quadratische, rot-weiße Button mit Mensch-Symbol am rechten Bildrand. (Screenshot Gemeinde Margetshöchheim)

Inzwischen wurden die vier Gründer für ihre inklusive Geschäftsidee mit zwei Innovationspreisen ausgezeichnet. Im vergangenen Jahr wurde die Web Inclusion GmbH mit dem Titel "Kultur- und Kreativpilot Deutschland" in einem von der Bundesregierung geförderten Wettbewerb ausgezeichnet. Zudem gewannen die vier Jungunternehmer 2022 den 1. Platz beim bayerischen "BayStartUp-Gründungspreis". "Über die Anerkennung, aber auch die Aufmerksamkeit freuen wir uns", sagt Tobias Greiner. Alle vier haben schließlich viel Arbeit, Zeit und Energie in ihr Herzensprojekt gesteckt. Darüber hinaus können die Gründer aber auch das Preisgeld gut gebrauchen, denn sie haben bei ihrer Firma auf Fremdkapital verzichtet, um "gesund zu wachsen". Zudem will die Web Inclusion GmbH laut Greiner bald expandieren: "Unser Focus liegt in Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber wir beginnen jetzt international mit Partnern in der EU, in Asien und den USA. Den Bedarf an digitaler Barrierefreiheit gibt es weltweit, wir sehen hier großes Potential".

Weitere Informationen über die Assistenzsoftware "Eye-able" und das Unternehmen finden Sie unter https://eye-able.com/assistenzsoftware/

Mit "Eye-able" lässt sich die Bedienung und Nutzerfreundlichkeit von Webseiten mit zahlreichen Funktionen verbessern. (Foto: Screenshot Eye-able.com)
Die automatisierte Prüfsoftware zeigt auf einen Blick, ob eine Webseite den Anforderungen an Barrierefreiheit genügt. (Symbolfoto: Web Inclusion GmbH)