Hilfe für Krabbeltiere - Öffentliche Grünflächen sollen künftig insektenfreundlich bewirtschaftet werden

Rund zwei Drittel aller Tierarten auf dem Planeten sind Insekten, doch ihr Bestand geht dramatisch zurück: allein in Deutschland gelten 40 % der Insektenarten als ausgestorben oder gefährdet. Nun will der Landkreis gegensteuern und eine insektenfreundliche Bewirtschaftung in den Gemeinden etablieren. Margetshöchheim ist dabei.

Für kleine Krabbeltiere sieht es in unserer versiegelten, aufgeräumten und intensiv genutzten Landschaft düster aus: obwohl sie fast die Hälfte aller bekannten Lebewesen auf dem Planeten ausmachen und mit rund 70 Prozent aller Tierarten die artenreichste Gruppe bilden, gelten alleine in Deutschland schon über 40 % der 33.300 Insektenarten als gefährdet oder gar ausgestorben. Der dramatische Weckruf kam im Dezember 2017 mit der berühmten "Krefelder Studie", die nachgewiesen hat, dass alleine hierzulande die Biomasse der Insekten innerhalb von nicht einmal 30 Jahren um erschreckende 76 % geschrumpft ist. Dabei spielen Insekten in den Stoffkreisläufen fast aller Ökosysteme der Erde eine unverzichtbare Rolle, beispielsweise als Verwerter, Bestäuber und Nahrungsquelle für zahllose andere Tiere. Die Gründe für das dramatische Insektensterben liegen in unserer Lebens- und Wirtschaftsweise: chemische Dünge- und Pflanzenschutzmittel auf Äckern und in Gärten schädigen die adulten Tiere oder Larven. Zudem steht immer weniger artenreiche Landfläche für die kleinen Krabbler zur Verfügung: Überall sieht man Monokulturen in der Landwirtschaft, aber auch in den Gärten mit nutzlosen Zierpflanzen wie Forsythie, Edelrose, Thuja und Co. Ein weiterer, stark unterschätzter Faktor beim Insektensterben ist die Art der Grünflächen-Bewirtschaftung: durch das Mähen, Mulchen und Heu machen können je nach Wirtschaftsweise bis zu 90 % der Insekten auf einer Grünfläche zu Grunde gehen.

In Bayern gilt bereits die Hälfte aller Insektenarten als ausgestorben oder gefährdet. Höchste Zeit, etwas für ihren Schutz zu tun. (Foto: Tina Göpfert)
Kommunen, Betriebe, BürgerInnen - alle können insektenfreundlicher wirtschaften

Hier will die bayerische Staatsregierung ansetzen: wachgerüttelt durch die Krefeld-Studie initiierte sie 2018 den "Blühpakt Bayern" und will die Kommunen, Gewerbebetriebe und BürgerInnen zu einer insektenfreundlicheren Bewirtschaftung motivieren. Der wichtigste Ausgangspunkt sind zunächst die Kommunen. Am 22. Mai, der zufällig auch der Tag der Artenvielfalt war, kamen deshalb die Gartenfachberaterin Jessica Tokarek und die Biodiversitätsberaterin Jasmin Malec vom Würzburger Landratsamt nach Margetshöchheim, um die Bauhöfe in der insektenfreundlichen Pflege kommunaler Flächen zu schulen. Tokarek ist als studierte Gartenbauingenieurin in der Kreisfachberatung Gartenkultur und Landespflege zuständig, Malec verantwortet die Umsetzung der Biodiversitätsstrategie im Landkreis. An der umfangreichen Schulung in Theorie und Praxis nahmen 12 MitarbeiterInnen von Bauhöfen aus umliegenden ILE-Gemeinden sowie aus Veitshöchheim und Höchberg teil. Aus Margetshöchheim waren Bauhof-Chef Matthias Kreiner und seine Kollegin Astrid Günther dabei. Die Veranstaltung in Margetshöchheim war der Auftakt, weitere Schulungen sollen in zeitlichen Abständen folgen und in allen kommunalen Allianzen des Landkreises durchgeführt werden.

Der Kurs war in drei Themenfelder gegliedert: "Ökologische Pflege kommunaler Flächen", "Insektenfreundliche Technik und Pflege" sowie "Lebensräume erkennen und ökologisch pflegen". Bei den TeilnehmerInnen stießen die Themen auf offene Ohren und reges Interesse; Referentin Jasmin Malec meint, dass sich seit dem Volksbegehren "Rettet die Bienen" glücklicherweise ein starkes Bewußtsein entwickelt habe, was bei ihren ersten Vorträgen vor einigen Jahren noch nicht der Fall war. Allerdings steckt auch die insektenfreundlichste Grünpflege in einem Dilemma: egal, was man tut, man zerstört etwas. Nichts tun und verwildern lassen kann aber auch keine Option sein: von der Verkehrssicherheit einmal abgesehen würden ungepflegte Flächen mit der Zeit verbuschen und so unzähligen Arten den Lebensraum entziehen. Deshalb geht es bei der insektenfreundlichen Bewirtschaftung darum, den Schaden für die Tierwelt möglichst gering zu halten.

"Mulchen ist der Worst Case für eine Wiese", sagt Tokarek

Tokarek und Malec stellten dazu Maßnahmen vor, die relativ einfach umgesetzt werden können und schon viel bewirken: die Mähtechnik, der Mähzeitpunkt bzw. das Mähintervall und das abschnittsweise Mähen. Bei der Mähtechnik sind die eingesetzten Geräte entscheidend. Mit dem Mulcher, der das Schnittgut gleichzeitig häckselt und einsaugt, werden laut Studien bei Heuschreckenpopulationen bis zu 90 % der Tiere getötet. "Mulchen ist der Worst Case für eine Wiese", stellte Tokarek klar. Zudem sterben durch den bodennahen Einsatz auch die Reptilien, Amphibien und Kleinsäuger auf der bearbeiteten Fläche. Weil die Geräte sehr effizient arbeiten, werden sie - leider - in vielen Gemeinden eingesetzt, auch in Margetshöchheim. Das soll sich künftig aber ändern, versichert Bürgermeister Waldemar Brohm auf Nachfrage: "Wir wollen insektenfreundlich wirtschaften und sind bereit, dafür auch Geld in die Hand zu nehmen und neue Geräte zu beschaffen". Deutlich insektenfreundlicher sind beispielsweise Balkenmäher, mit denen bei den Heuschrecken über 90 % am Leben bleiben. Ein Bauhof-Mitarbeiter merkte alllerdings an, dass Balkenmähwerke deutlich wartungsintensiver seien und deshalb in den 1980er Jahren abgeschafft wurden. Wichtig beim Mähgerät ist, dass die Schnitthöhe mindestens 10 cm beträgt. So werden nicht nur die Insekten, sondern auch alle anderen Tiere vor den scharfen Messern bestmöglich geschont. Am insektenfreundlichsten, aber auch am arbeitsinsensivsten sei aber die Handsense, erklärten die Referentinnen. Schnittgut sollte nach 1-2 Tagen abgeräumt werden, um die Grünflächen nicht mit Nährstoffen anzureichern - magere Wiesen sind besonders artenreich. Unabhängig vom Mähgerät liege die "Krux an der Sache" laut Malec jedoch darin, dass das Aufnehmen und Entsorgen des Mahdguts mehr Arbeit mache, als das Mähen selbst. Darin dürften wohl die Gründe liegen, warum das Mulchen heutzutage so verbreitet ist. Ein weiteres Problem stellt die Entsorgung des Schnittguts dar, insbesondere von belastetem Straßenbegleitgrün. Die Referentin erklärte, dass der Landkreis nach einer überregionalen Lösung des Problems suche, bisher aber noch keine substanziellen Erfolge hat, weil Biogasanlagen das energiearme Schnittgut nicht wollen oder verwerten können und andere Nutzungen z.B. in der Dämmstoff- und Pelletsindustrie noch "in der Experimentierphase" seien.

Ungemähte Schutzstreifen dienen als Rückzugsort

Für den Schutz der Insekten und anderen Wiesentiere spielen auch der Mähzeitpunkt und die Mähintervalle eine wichtige Rolle. Am besten sollte immer Mittags oder am frühen Nachmittag und mit Schrittgeschwindigkeit gemäht werden. Laut Blühpakt ist es für die Wiesenbewohner generell günstig, den Mähzeitpunkt vom Frühjahr in die Sommermonate zu verschieben. Wiesen auf trockenen Standorten sollen bei der 1. Mahd im Juni / Juli, beim zweiten Termin im August / September gemäht werden, Wiesen auf frischen Standorten im Juni und dann im August / September. Auf feuchten, mageren Standorten genügt eine Mahd im August / September. Ganz wichtig bei der insektenschonenden Bewirtschaftung ist, als Rückzugsort für die Tiere immer einen Teil ungemäht zu belassen - empfohlen werden 10-20 % der Wiesenfläche. Der ungemähte Krautsaum kann dann im nächsten Durchgang gemäht werden oder am besten über den Winter stehenbleiben, damit Insekten dort in den Stängeln und Blättern überwintern können. Es empfiehlt sich, beim Mähen auf die vorgesehene Schutzfläche hinzuarbeiten, sodass die flüchtenden Tiere in die entsprechende Richtung gescheucht werden.

Grünflächen sollen ökologisch aufgewertet werden

Neben der Pflege von Grünflächen spielt auch deren Gestaltung eine wichtige Rolle für die Insekten, erklärten die Referentinnen. Je magerer eine Wiese ist, desto größer ist ihr Artenreichtum. Während auf gut gedüngten Wiesen maximal zehn Pflanzenarten zu finden sind, gibt es auf nährstoffarmen Standorten bis zu 50 pro m2, was im Wechselspiel auch die Artenvielfalt der Tiere fördert. Ein gutes Beispiel dafür sind die biologisch bewirtschafteten hiesigen Streuobstwiesen mit einer Vielfalt von bis zu 5.000 Tier- und Pflanzenarten. Die Bauhof-MitarbeiterInnen bekamen umfangreiches Informationsmaterial an die Hand, wie öffentliche Grünflächen ökologisch aufgewertet werden können. Nach dem Theorieteil ging es raus in die Natur, um das Wissen um ökologisch wertvolle Flächen in die Praxis umzusetzen: gemeinsam mit den Referentinnen besuchten die Bauhof-MitarbeiterInnen eine Wiese in der Margetshöchheimer Flur, die von Landwirt Robert Rügamer extensiv bewirtschaftet wird. Mit ihren vielfältigen Pflanzenarten und dem lückigen Bewuchs sei diese im Vergleich zu einer Fettwiese, die mehrmals im Jahr geschnitten wird, "ein ultimativer Lebensraum", so Jasmin Malec. Zu Beginn meinten die SchulungsteilnehmerInnen noch, man sehe ja nur "ein bißchen Wiesensalbei, Hahnenfuß und Gras", doch der Schein trügte: schon nach wenigen Minuten konnten Wolfsmilch, Klappertopf, Storchschnabel, Erdbeere, Schafgarbe und Dutzende weitere Arten wie der seltene Mittlere Wegerich bestimmt werden. Der Blick in die Wiese soll den Bauhof-MitarbeiterInnen künftig ermöglichen, besser auf die Artenvielfalt zu achten und entsprechend zu handeln.

Margetshöchheim ist gerne dabei

In Margetshöchheim stößt die insektenfreundliche Bewirtschaftung der öffentlichen Grünflächen auf großes Interesse. Bürgermeister Waldemar Brohm, Bauhof-Chef Matthias Kreiner und die Blog-Redaktion haben sich bereits im vergangenen Jahr zusammengesetzt, um Maßnahmen zu überlegen. Der Bauhof will nun ein Konzept erarbeiten, welche Flächen der Gemeinde wie und mit welchen Geräten bewirtschaftet werden können und wo artenreiche Pflanzungen in Frage kommen. Schließlich bieten Hanglagen, Gewässerränder, Straßenbegleitflächen, Wiesen und Ruderalflächen jeweils unterschiedliche Gegebenheiten. Matthias Kreiner überlegt außerdem, spezielle Biotope wie Sandarien für Insekten anzulegen. Wenn es von der Art der Bewirtschaftung her möglich ist, will die Gemeinde außerdem einen tierschonenden Balkenmäher anschaffen, die Kosten liegen bei etwa 70.000 Euro. Sobald das Konzept steht und in die Umsetzungsphase geht - voraussichtlich im nächsten Frühjahr, soll außerdem eine Informations- und Mitmach-Kampagne für die BürgerInnen gestartet werden. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Informationen und Tipps für einen insektenfreundlichen Garten finden Sie auf der Homepage des Blühpakts Bayern unter

https://www.bluehpakt.bayern.de/gaerten/tipps.htm

Im Blühflächen-Kompass der bayerischen Staatsregierung finden Sie viele hilfreiche Tipps und Informationen, er kann unter folgendem Link kostenlos downgeloaded oder bestellt werden:

https://www.bestellen.bayern.de/application/applstarter?APPL=eshop&DIR=eshop&ACTIONxSETVAL(artdtl.htm,APGxNODENR:34,AARTxNR:lfu_nat_00420,AARTxNODENR:366858,USERxBODYURL:artdtl.htm,KATALOG:StMUG,AKATxNAME:StMUG,ALLE:x)=X

Auf der Wiese von Landwirt Robert Rügamer (links, dahinter sein Neffe) lernten die Bauhof-MitarbeiterInnen in der Praxis, wie Artenvielfalt aussieht. Links vorne steht Margetshöchheims Bauhof-Mitarbeiterin Astrid Günther, Chef Matthias Kreiner fehlt, weil er kurzfristig mit der Feuerwehr zu einem Einsatz ausrücken musste. Rechts vorne sind die Referentinnen aus dem Landratsamt, Jasmin Malec und Jessica Tokarek (von links). (Foto: Tina Göpfert)

 

Durch ihre Bestäubungsleistung sind Insekten auch ein gewaltiger ökonomischer Faktor: rund 80 % aller Gemüse- und Obstpflanzen werden von Fluginsekten bestäubt, allein in Deutschland beziffern Experten den ökonomischen Wert auf mindestens 1,3 Milliarden Euro jährlich. Fehlen die Tiere, müssen billige Arbeitskräfte mit Pollenpinseln anrücken - heute schon gang und gäbe in China, Japan, Italien und anderen, fast insektenfreien Ländern. (Foto: Tina Göpfert)

 

Manche Mähgeräte sind für die Tierwelt schlimmer als andere. (Grafik: Bayerische Staatsregierung / Blühpakt Bayern)