Unter dem Motto "Miteinander mehr erreichen" hat die ILE Main-Wein-Garten schon einiges auf den Weg gebracht. Die acht Gemeinden wollen sich nun unter Anderem gemeinsam gegen den Klimawandel wappnen. Der Vortrag des Klimawissenschaftlers Prof. Paeth bei der Abschlussveranstaltung hinterließ nachhaltigen Eindruck.
Unter dem Motto "Miteinander mehr erreichen" hat die Integrierte Ländliche Entwicklungsregion (ILE) Main-Wein-Garten schon so einiges auf den Weg gebracht - daran wollen Margetshöchheim, Zell, Erlabrunn, Leinach, Thüngersheim, Zellingen, Retzstadt und Himmelstadt weiter anknüpfen. "Zusammen als "Die Acht vom Main" möchten wir die Lebens- und Arbeitsbedingungen in unserer Region verbessern und aktiv zum Erhalt unserer lebenswerten Heimat beitragen", heißt es auf der Homepage der ILE. In der ersten Sommerferienwoche fand in der Margarethenhalle deshalb die Abschlussveranstaltung zur Fortführung des sogenannten Integrierten Ländlichen Entwicklungskonzepts (ILEK) statt. Der sperrige Begriff bezeichnet quasi den Rahmen für die Zusammenarbeit der Gemeinden. Das ILEK wurde 2016 initiiert, in jährlichen Sachstandsberichten evaluiert und soll nun an die neuen Probleme und Bedarfe der Gemeinden angepasst werden. Ein wichtiger Punkt, der auch bei der Bürgerbefragung mit 4,2 von 5 Punkten ganz oben auf der Liste stand, ist die Anpassung an die Herausforderungen des Klimawandels. Der Vortrag des renommierten Klimawissenschaftlers Prof. Dr. Heiko Paeth lieferte auf der Veranstaltung Wissen und Impulse, wie sich Kommunen für die Zukunft rüsten können - dazu später mehr.
"Vernetzung statt Kirchturmdenken"
Der ILE-Vorsitzende und Bürgermeister Thüngersheims, Michael Röhm, lobte die gute Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und die tollen Leistungen der ILE-Managerin Anna Klüpfel, die die zahlreichen Sitzungen vorbereitet, Fördermöglichkeiten auslotet und die Umsetzung der Projekte begleitet. Dazu gehören etwa eine interkommunale Schul-IT, Wildbienenhäuser, ein interkommunales Ökokonto mit der Aufwertung von Grünflächen oder das jährliche Regionalbudget, mit dem unterschiedlichste Kleinprojekte bezuschusst werden. Michael Manger vom Amt für Ländliche Entwicklung Würzburg (ALE) lobte die Zusammenarbeit der "Acht vom Main" als einen zielführenden, dynamischen Prozess und freut sich, dass die Gemeinden die Notwendigkeit eines unterstützenden Miteinanders erkannt haben. Das ALE hilft den Kommunen bei der Planung (z.B. Dorferneuerung, Flurneuordnung) und mit Fördermitteln, beispielsweise für den Bürgerhof Erlabrunn, das Programm "Streuobst für Alle" oder die Förderung von Kleinstunternehmen. Durch die Zusammenarbeit in der ILE könne sich die Region "krisenfester und nachhaltiger entwickeln", so Manger. Was zähle, sei "Vernetzung statt Kirchturmdenken".
Gemeinsame Konzepte zur Wärmeplanung und zum Wassermanagement stehen in den Startlöchern
Am Beginn der Vernetzung steht die Analyse: Wie sich die Region zum Wohle der Bürger weiterentwickeln soll, wurde für das neue ILEK in einem aufwändigen Prozess zusammen mit dem Büro FUTOUR untersucht - dafür gab es neben Gesprächen mit den Bürgermeistern der acht ILE-Gemeinden und Experten der Regionalentwicklung auch eine Bürgerbefragung und einen Ideenworkshop. Dabei kristallisierten sich für die Region sechs wesentliche Handlungsfelder (und jeweils mögliche gemeinsame Projekte) heraus:
1.) Zusammenarbeit in kommunalen Angelegenheiten: Daseinsvorsorge (Gemeinsame IT, Zusammenlegung von Ämtern, Leerstandsmonitoring)
2.) Versorgen: Energie und Wärme, Gesundheit, Innenentwicklung, Wohnen, Nahversorgung, Mobilität, Demographische Entwicklung (Weg zur energieautarken ILE, Ortsbegrünung, Nahwärmekonzept, Bürgerenergieprojekte, bessere Barrierefreiheit)
3.) Arbeiten: Land- und Forstwirtschaft, Wirtschaft, Gewerbeentwicklung (Wasserrückhalt bei Starkregen, Bodenerhaltung, Markthalle für regionale Produkte, Übersicht über Direktvermarkter)
4.) Gestalten: Landschaft, Umwelt, Klimaschutz, Biodiversität, Klimaanpassung (ILE-Konzept zu Wasserknappheit und Niederschlagsspeicherung, Klimaschutzkonzept, gemeinsame Förderung von Klima- und Umweltschutz)
5.) Sein: Tourismus, regionale Identität, Kultur (Tagesausflügler in die ILE locken und Verweildauer ehöhen, Tafeln mit QR-Codes an bedeutenden Punkten / Gebäuden, Förderung der Gastronomie, ILE-Veranstaltungen, z.B. Ortsolympiade, rollierendes Fest, Ortsrundgänge, gemeinsames Konzert)
6.) Digitalisierung und Öffentlichkeitsarbeit (Interkommunales Digitalisierungskonzept, Informationsgrenze zwischen den zwei Landkreisen überwinden)
Die ILE Main-Wein-Garten hat in ihren acht Gemeinden zusammen rund 25.000 Einwohner und wurde bei der Bürgerbefragung insgesamt als sehr lebenswerte Region bewertet. Neben vielen Stärken wie einer attraktiven Landschaft, guten Versorgung und einer hohen Lebensqualität hat die Region mit einigen Schwächen zu kämpfen, darunter einem Mangel an Gewerbe, einem unzureichenden ÖPNV, dem demographischen Wandel (die ILE-Region überaltert schneller als der bayerische Durchschnitt) oder der Wasserknappheit. In der ILE stehen Konzepte zur interkommunalen Wärmeplanung sowie zum gemeinsamen Wassermanagement bereits in den Startlöchern.
"Unterfranken ist ein Hotspot des Klimawandels und eine der trockendsten Regionen Europas"
Der Wassermangel spielte bei der Veranstaltung auch bei dem Vortrag des bekannten Klimawissenschaftlers Prof. Dr. Heiko Paeth eine große Rolle. Er gehört zu den renommiertesten Wissenschaftlern zum Thema Klimawandel und Klimafolgenforschung im deutschsprachigen Raum; Paeth forscht am Geologischen Zentrum der Uni Würzburg und entwickelt unter Anderem Big Data-basierte Klimamodelle. In seiner Wahlheimat Thüngersheim engagiert sich Paeth außerdem im Gemeinderat und wird die ILE-Gemeinden fachlich zu Themen des Klimawandels begleiten.
Klimawandel klingt abstrakt, hat uns aber längst im Alltag eingeholt. Nach neuesten Daten des EU-Klimadienstes Copernicus ist Europa von allen Kontinenten der Welt am stärksten vom Klimawandel betroffen. Während die durchschnittliche Jahrestemperatur 2023 im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter erstmals global um 1,5 °C gestiegen ist und damit die Marke des Pariser Klimaabkommens gerissen hat, verzeichnet der europäische Kontinent bereits einen Temperaturanstieg von 2,2 °C. Und obwohl sich die Klimakrise nirgendwo sonst auf der Welt so stark bemerkbar macht (abgesehen vom Nordpol mit einer Erwärmung von + 3 °C), ist Europa laut EU-Umweltbehörde völlig unzureichend auf die anstehenden Herausforderungen vorbereitet.
Die ILE-Gemeinden wollen sich gemeinsam gegen die lokalen Herausforderungen des Klimawandels wappnen. Der Klimawissenschaftler Prof. Dr. Heiko Path erklärte bei seinem Vortrag in der Margarethenhalle allerdings gleich zu Beginn: "Das bisher Gehörte verbreitet gute Laune - ich dagegen habe viele Probleme und wenig Lösungen". Im Gegensatz zum Forschungsbeginn vor rund 30 Jahren verfüge die Wissenschaft heute über Instrumente, um die regionalen Auswirkungen der globalen Erwärmung zu messen, erläuterte Paeth und präsentierte seine Forschungsergebnisse für Mitteldeutschland: demnach war der Februar 2024 ganze 6,4°C zu warm. Für das überraschende Ergebnis musste sogar die Skala angepasst werden, diese reichte nur bis 6°C. Auch in anderen Punkten hätten die Messungen die Modelle bereits überholt, das Klima befinde sich am Oberrand der Skalen - diese Entwicklung überrasche die Forscher und nähre die Sorge, dass vielleicht schon sogenannte Kippunkte erreicht wurden. Kippunkte könnten im Erdsystem unabsehbare und unumkehrbare Kaskadeneffekte auslösen. Zu den weltweiten Klima-Kippunkten, die bei einer globalen Erwärmung von 1,5-2 °C wahrscheinlich werden, gehören das Schmelzen der Eisschilde von Grönland und der Westantarktis (siehe Grafik des Potsdam-Institus für Klimafolgenforschung; vertiefte Informationen auf der Homepage des Instituts unter https://www.pik-potsdam.de/de/produkte/infothek/kippelemente/kippelemente).
In Zukunft gibt es mehr Hitzetage und mehr Tropennächte
Düster sieht es deshalb aus, wenn wir mit den Treibhausgasemissionen so weitermachen wie bisher. In der Klimawissenschaft wird diese Prognose "businnes as usual" ("weiter so") genannt. Für ihre Berechnungen nutzen Klimaforscher sogenannte RCP-Szenarien ("Representative Concentration Pathway" = möglicher Entwicklungspfad; repräsentative Prognose abhängig von der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre). Pusten wir unverändert Emissionen in die Luft ("Business as usual" bzw. RCP8.5-Szenario), dürfen wir uns in den nächsten 75 Jahren auf eine Erwärmung um 4,4°C einstellen. Bei einer Halbierung der Treibhausgasemissionen (RCP4.5-Szenario) würde der Temperaturanstieg bis zum Jahr 2100 noch bei 2,7°C liegen. Diese Aussichten stellen uns vor massive Probleme, denn der menschliche Körper kann Hitze nur begrenzt aushalten. Eine Körpertemperatur von über 42°C führt in der Regel zum Tod. Der Körper kühlt sich über Verdunstung, das heißt Schwitzen ab - dieser Prozess ist aber umso belastender und ineffektiver, je feuchter die Umgebungsluft ist. "Schon jetzt tötet Hitze in Deutschland mehr Menschen als jede andere Naturgewalt", erklärte Professor Paeth. Würde man die hitzebedingte Mortalität wie eine Inzidenz pro 100.000 Einwohner berechnen, wäre diese zigfach höher als bei Corona, sagte er. In Deutschland sterben laut Daten des Robert-Koch-Instituts mittlerweile fast so viele Menschen an Hitze wie durch Suizid. Das Bundesgesundheitsministerium arbeitet an einem Hitzeschutzplan und will diese Sterbefälle halbieren.
Neben Hitzetagen nehmen auch die Hitzewellen zu, das heißt es hat mindestens an vier aufeinanderfolgenden Tagen Temperaturen von 5°C über dem langjährigen Durchschnitt. In Süddeutschland gibt es davon 7-10 pro Jahr. Merklich zugenommen haben außerdem die Hitzetage mit Temperaturen von über 30°. Derzeit messen die Wissenschaftler in Unterfranken 6-7 solcher Hitzetage pro Jahr. Machen wir so weiter wie bisher, wird sich die Anzahl der Hitzetage in Unterfranken in zwei Generationen verfünffachen, das heißt um 2050 werden die Einwohner 30-35 Hitzetage pro Jahr aushalten müssen. Zugleich nimmt die Anzahl der sogenannten Tropennächte zu - das sind Nächte, in denen die Temperatur nicht mehr unter 20°C fällt. Diese waren bis vor 20 Jahren in unseren Breiten noch unbekannt und stellen für den Organismus eine enorme Belastung dar. Am Würzburger Marktplatz wurden laut dem Klimaforscher bereits mehrfach Tropennächte gemessen, in denen die Temperatur sogar über 25°C blieb. Paeth mahnte, dass wir bei dieser Entwicklung gerade erst "in den Kinderschuhen" stecken.
Anschauliche Klimaprognosen für die Region sind im Bayerischen Klimainformationssystem der Staatsregierung abrufbar unter https://klimainformationssystem.bayern.de/klimawissen/regionaler-klimawandel/mainregion
Verdichtete Gebiete entwickeln sich zu Wärmeinseln
Maximale Tagestemperaturwerte werden meist am Nachmittag und Abend erreicht. Besonders drastisch fallen diese in hochverdichteten Gebieten aus. Drei Viertel aller Bundesbürger leben mittlerweile in städtischen Ballungsräumen. "Deutschland ist das am meisten verstädterte Land des Planeten", erklärte Professor Paeth. In Würzburg hat der Wissenschaftler mit seinem Team seit 2017 auch in der Innenstadt Messpunkte aufgestellt, um den sogenannten Wärmeinsel-Effekt zu erforschen - laut Paeth ist das einzigartig in Bayern. Würzburg ist eine stark verdichtete Stadt mit verhältnismäßig wenig Grün in einer topographisch ungünstigen Kessellage. Der Temperatureffekt ist drastisch: "Zwischen Gerbrunn und Würzburg haben wir teilweise bis zu 10°C Unterschied - das entspricht zwei Klimazonen", berichtete der Forscher.
Für solche Temperaturen sei unsere Stadtarchitektur nicht gemacht, meinte Paeth und mahnte: "Wir müssen gegensteuern". Es gibt mehrere Maßnahmen, wie sich Wärmeinseln reduzieren lassen. Zur wichtigsten gehöre die Verringerung stark versiegelter Bodenflächen. "Wenn Sie Ihren Boden versiegeln, können Sie sich dieselbe Erwärmung vor's Haus holen wie 130 Jahre Industrialisierung", verdeutlichte der Klimaforscher. Ein weiterer wichtiger Aspekt neben der Entsiegelung seien Stadtgrün bzw. Bäume. Eine alte Stadtlinde, die genug Wasser zur Verfügung habe, erziele dieselbe Kühlwirkung wie 200 Kühl-Gefrierkombinationen, so Paeth. Neue Forschungen haben ergeben, dass sich Asphalt auf bis zu 70°C aufheizen kann; im Schatten eines Baumes liegt die Oberflächentemperatur dagegen um bis zu 20°C darunter. Bäume (und andere Pflanzen) kühlen die Umgebung durch Verdunstung ab - deshalb steigt allerdings auch ihr Wasserbedarf an Hitzetagen noch stärker an.
Übrigens hat eine neue Studie des University College London in der britischen Hauptstadt anhand von Computersimulationen verschiedene Maßnahmen zur Reduzierung von Wärmeinseln erforscht und herausgefunden, dass der größte Effekt durch sogenannte kühle Dächer erzielt wird - das sind Dachflächen aus reflektierenden oder weißen Materialien. Der Effekt übertrifft die Temperatursenkung durch Begrünung um ein Vielfaches. Generell gilt, dass Materialien in hellen Farben weniger Wärmeenergie aufnehmen als dunkle - das kann man sich bei der Stadtplanung, aber auch im eigenen Haus und Garten zunutze machen.
Wasser wird zunehmend zum Problem
Der Klimawandel bringt ein weiteres großes Problem mit sich, insbesondere in Unterfranken: Wassermangel. Schon jetzt gehört die Region zu den trockensten in ganz Europa, erläuterte Prof. Heiko Paeth. Selbst die vergangenen regenreichen Monate hätten das Wasserdefizit nicht auffüllen können: "Wir hatten in Unterfranken zwischenzeitlich ein Defizit von 600 Litern, jetzt haben wir immer noch 400 Liter Defizit, also nur ein Drittel kompensiert". Der einst zyklische Prozess verlaufe seit 2015 in Wellen. Problematisch seien außerdem die zunehmenden Starkregenereignisse, die mittlerweile 3-4 mal häufiger auftreten. Da ein ausgetrockneter Boden einen Benetzungswiderstand entwickle, könne das Wasser nicht mehr eindringen. Neben einer Häufung von Starkregen komme es außerdem zu einer Umverteilung der Niederschläge in den Sommer- und Wintermonaten.
Problematisch ist diesbezüglich übrigens auch die moderne Form der Bodenbewirtschaftung - verschiedene wissenschaftliche Studien konnten inzwischen zeigen, dass Böden deutlich weniger Wasser aufnehmen können, je größer und schwerer die Landmaschinen sind, mit denen sie bearbeitet werden.
"Wir müssen uns neue Klimaziele setzen", sagt Prof. Paeth
Die Veränderungen im Klima- und Ökosystem nötigen uns Anpassungen an das Leben, Wohnen und die Landwirtschaft ab. Nicht zuletzt nehmen mit steigenden Jahrestemperaturen auch die Naturkatastrophen durch Wetterextreme zu. Der Klimaforscher Heiko Paeth hofft, dass die Menschen trotz des gescheiterten Pariser Klimaabkommens künftig ambitionierter handeln und sich neue Klimaziele setzen, je stärker die Auswirkungen des Klimawandels spürbar werden, denn: "Es kommt auf jedes Zehntelgrad an!"
Die acht ILE-Gemeinden entwickeln derzeit ein gemeinsames Konzept zum überregionalen Wassermanagement mit Aspekten wie Wasserrückhalt bei Starkregen, Wasserknappheit und Niederschlagsspeicherung. Zudem sollen Konzepte zur Anpassung an den Klimawandel und zur Förderung von Klima- und Umweltschutzmaßnahmen erarbeitet werden. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
Professor Paeth hielt im Dezember 2022 in der Margarethenhalle einen ersten, ausführlichen Vortrag zum Klimawandel in Unterfranken. Den ausführlichen Blog-Bericht von damals finden Sie unter https://www.margetshoechheim-blog.de/natur-umwelt/542-vortrag-zum-klimawandel-mit-professor-paeth-alles,-was-wir-jetzt-unterlassen,-b%C3%BCrden-wir-k%C3%BCnftigen-generationen-auf?highlight=WyJrbGltYXdhbmRlbCJd