Protest gegen schlechte Bedingungen: die Margetshöchheimer Apotheke bleibt am 22. November wegen Streik geschlossen; Turm-Apo in Zellingen hat Notdienst

Derzeit sind Apotheken im ganzen Land zu Streiks gegen die schlechten Bedingungen ihrer Branche aufgerufen. In Bayern und Baden-Württemberg wird am 22. November gestreikt, die Margetshöchheimer St. Margareten-Apotheke beteiligt sich und bleibt geschlossen. Notdienst hat die Turm-Apotheke in Zellingen.

Diesen November sind ApothekerInnen im ganzen Land vom Apothekerverband dazu aufgerufen, aus Protest gegen die Politik des Bundesgesundheitsministeriums an einem Tag ihre Arbeit niederzulegen. In Bayern und Baden-Württemberg wird am 22. November gestreikt, dann findet in Stuttgart eine zentrale Kundgebung für die beiden Bundesländer statt. "Wir machen bei dem Streik mit und lassen die Apotheke am 22.11. geschlossen", berichtet die Inhaberin der hiesigen St. Margareten-Apotheke, Sylvia Pöhlmann, auf Nachfrage. Als Gesundheitsdienstleister befinde man sich angesichts der verfahrenen politischen Situation in einem Dilemma, denn man habe natürlich "die Menschen im Blick, die zu uns kommen und hilfsbedürftig sind." sagt sie. Pöhlmann hat dennoch gemeinsam mit ihrem Team entschieden, sich an dem Streik zu beteiligen. Damit ist die St. Margareten-Apotheke nicht alleine: "Alle Apotheken im Dienstkreis Würzburg-Land streiken am 22. November", informiert Pöhlmann. Dazu gehören alle Apotheken in Margetshöchheim, Zell, Zellingen, Karlstadt und Veitshöchheim. Notapotheken haben an den landesweiten Streiktagen ganz normal geöffnet, am 22. November ist das die Turm-Apotheke in Zellingen (von 08:00 Uhr morgens am 22.11 bis 08:00 Uhr am Folgetag). Am besten sei es jedoch, sich vor oder nach dem Streiktag mit nötigen Medikamenten einzudecken, empfiehlt Pöhlmann.

Knappes Personal, fehlende Medikamente und jetzt auch noch das e-Rezept

Im Juni hatte die St. Margareten-Apotheke beim bundesweiten Streik aus Protest gegen die Lieferengpässe bei Arzneimitteln bereits mitgemacht. Seither habe sich die angespannte Lage für die Apotheken eher noch verschärft, berichtet Pöhlmann: "Wir haben weiterhin Nachschubprobleme bei Arzneimitteln, wir sorgen mit einem riesigen Warenlager an Medikamenten für den Winter vor, unsere MitarbeiterInnen müssen immer mehr leisten". Derzeit erlebe die Apotheke obendrauf noch eine Überlastung durch die Einführung des e-Rezepts, das derzeit genutzt werden kann und ab 1. Januar 2024 Pflicht werden soll. Das System sei überhaupt nicht ausgereift und "von Theoretikern ausgedacht, die keine Ahnung von der Basis haben", beklagt Pöhlmann. In der Theorie klingt das e-Rezept ganz einfach: die ÄrztInnen laden die digitalen Rezepte in eine Cloud hoch, aus der sie von den PatientInnen mithilfe einer App auf ihre elektronische Gesundheitskarte runtergeladen und in der Apotheke ihrer Wahl eingelöst werden können. In der Praxis gebe es aber viele Hürden, die Zeit und Nerven kosten, erläutert die Apothekerin. Zunächst müssten die ÄrztInnen das e-Rezept in die Cloud laden, was einen enormen Zeitaufwand für die MedizinerInnen bedeute und manchmal auch nicht zeitnah funktioniere, etwa wenn die Server zu den Stoßzeiten überlastet seien. Durch die zeitverzögerte Einbuchung sei der direkte Gang von der Arzpraxis in die Apotheke deshalb oft nicht sinnvoll. Des Weiteren müssten die PatientInnen die Gematik-App bereits auf ihrem Handy installiert haben, was gerade für ältere Menschen oft eine nicht leistbare Herausforderung darstelle. Anschließend müssten die PatientInnen sich in der Apotheke ihrer Wahl registrieren und das e-Rezept auf ihre elektronische Gesundheitskarte herunterladen. Damit gebe es große Probleme, weil etliche Krankenkassen die neuen Karten noch gar nicht verschickt hätten und das e-Rezept auf alten Karten gar nicht funktioniere. Alternativ könne das e-Rezept in der Arztpraxis ausgedruckt werden, doch es gebe Praxen, die den Service nicht anbieten, so Pöhlmann. Zudem dürften manche Medikamentengruppen weiterhin nur über Papierrezepte verordnet werden. "Es ist nicht durchdacht. Bei uns in der Apotheke schlägt das dann alles auf, auch der Unmut der Menschen, weil das Ganze nicht funktioniert" ärgert sich die Apothekerin über das nicht ausgereifte System. Dass das neue System ausgerechnet zu Beginn der Erkältungswelle im Herbst startete, wo die Arztpraxen und Apotheken sowieso schon voll sind, kann sie nicht nachvollziehen.

"Die Situation wird immer verfahrener", sagt die Apothekerin

Für die Apotheke vor Ort bedeutet die Umstellung auf das schlecht funktionierende e-Rezept einen enormen Mehraufwand an Beratung und Diensteistung, was angesichts des knappen Personals schwer zu managen sei. Aktuell gebe es häufig lange Schlangen in der St. Margareten-Apotheke. Die Personaldecke der meisten Apotheken im Land ist dünn, der Fachkräftemangel in der Branche hoch. In den vergangenen Jahren haben viele Apotheken landesweit zugemacht, was die Arbeitsbelastung in den verbliebenen Einrichtungen vor Allem im ländlichen Raum zusätzlich verdichtet. "Die Situation wird immer verfahrener, aber von oben wird immer nur mehr verlangt", moniert Pöhlmann die Ignoranz seitens der politisch Verantwortlichen. Bei dem bundesweiten Streik in diesem November gehe es den ApothekerInnen nicht nur ums Geld, sondern um eine Entlastung und Verbesserung der Bedingungen. Honorare für ApothekerInnen wurden seit einem Jahrzehnt nicht mehr angepasst. Trotz stagnierender Gelder sind die Anforderungen stetig gesteigen, etwa der Verwaltungsaufwand oder Leistungen zu Corona-Zeiten, die schwierige Medikamentenbeschaffung, etc. Die Apothekerschaft kritisiert derzeit beispielsweise auch die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), den Apothekensektor zu deregulieren. Apothekerin Sylvia Pöhlmann meint, das Gesundheitswesen und ihre Zunft habe "mit völlig widersinnigen Entwicklungen zu kämpfen", die man nicht einfach so hinnehmen könne.