Stöcke statt Lego - bei den Naturwochen verbrachten die KiTa-Kinder eine Woche lang jeden Tag draußen in der Natur und erlebten tolle Abenteuer. Das entspannte Miteinander beim Feuer machen, Steine sammeln und Kränze flechten begeisterte nicht nur die KiTa-Kinder, sondern auch die ErzieherInnen.
Vergangenen Mittwoch stand um Punkt 9 Uhr schon der große Bollerwagen samt Armeerucksack vor der KiTa St. Johannes bereit mit allem, was eine Kindergartengruppe für einen Tag in der Natur so benötigt - darunter ein großer Kanister Wasser, Verbandszeug, Wickelutensilien, Feuerlöscher, Anzünder, Topf und Grillrost. Aufgeregt warteten die 22 Kinder der Dachsgruppe in Zweierreihen darauf, dass es mit Erzieher Christian Kelber und Erzieherin Mona Dannenberg endlich losging ins Grüne. Das Tagesprogramm: durch die Natur toben und als Highlight selbstgemachte Pizza auf dem Lagerfeuer backen.
Zum zweiten Mal seit Corona fanden diesen Mai wieder die beliebten Naturwochen im Kindergarten statt. Dabei verbringt jede Regelgruppe mit ihren 3-6-Jährigen jeweils eine Woche draußen im Grünen, vom Morgen bis nach dem Mittag. Die Dachsgruppe verbrachte ihre Naturwoche heuer mitten in den Streuobstwiesen auf dem Flurstück einer Margetshöchheimer Familie, die dem Kindergarten ihr Gelände für die wilden Abenteuer zur Verfügung stellt. Hier finden die Kinder eine ausgedehnte Wiese, schattige Bäume, Steine und einen Abhang mit kleiner Schlucht zum Toben. Am Rand der Wiese haben sie mit großen Steinen eine kleine Feuerstelle errichtet. "Lagerfeuer ist das absolute Highlight für die Kinder, am ersten Tag haben quasi alle nur ums Feuer gesessen und in die Flammen geschaut", erzählt der stellvertretende KiTa-Leiter Christian Kelber.
Der Anspruch der Naturwochen hat sich verändert
Er war vor seiner Ausbildung zum Erzieher 12 Jahre lang bei der Bundeswehr, bringt in Sachen Outdoor-Abenteuer also jede Menge Erfahrung mit. "Christian weiß einfach schon, welches Equipment man braucht und wie man sich in der Natur verhält, er kommt damit viel leichter in Berührung", berichtet seine Kollegin Mona Dannenberg, die seit knapp zwei Jahren in der KiTa St. Johannes arbeitet und Naturprogramme auch aus anderen Einrichtungen kennt: "Wir waren eher so Schönwetter-Draußenseier, das ist mit Christian anders." Die Naturwochen sind im hiesigen Kindergarten schon seit vielen Jahren etabliert, so wurden beispielweise in Kooperation mit Förster Wolfgang Fricker Tage im Margetshöchheimer Wald organisiert. Durch das Vorwissen ihres Kollegen habe sich aber schon auch der Anspruch der Naturwochen verändert, meint Dannenberg. Kelber bringt seine Survival-Kenntnisse ein und regte an, dass die Naturwochen künftig zwei Mal im Jahr stattfinden sollen, damit das Naturerlebnis auch einen nachhaltigen Effekt hat. Ihm wäre es sogar am liebsten, wenn die Kinder einen ganzen Monat im Grünen erleben würden, sagt er. Die erste Naturwoche nach Corona fand im vergangenen Oktober statt - Schietwetter eingeschlossen: "Einen Tag hat es zeimlich stark geregnet, da hat Christian eine Plane aufgespannt und wir haben einfach eine Stunde laut unter der Plane gesungen. Das war richtig schön", erzählt die Erzieherin.
Wo die wilden Kerle toben
Laut sein zu können, ist für Kinder wohl einer der größten Vorzüge in der freien Natur. "Die Kinder sind hier draußen viel lauter als in der Einrichtung, aber man merkt es nicht, weil der Schall nicht reflektiert wird", erklärt Kelber. Kaum dass die Kinder der Dachsgruppe an jenem Mittwoch auf "ihrem" Grundstück angekommen sind, den Morgenkreis an der Feuerstelle verbracht und die mitgebrachten Frühstücksbrote auf der Wiese verzehrt haben, stürmen die größeren Jungen und Mädchen lauthals den steilen Abhang hinunter. Wer weniger wagemutig oder noch zu klein ist, tapst vorsichtig hinterher oder rutscht gleich auf dem Popo. Unten in der kleinen Schlucht haben die Kinder ein "Tipi" aus großen Ästen errichtet, dort tummeln sie sich nun. Kurz darauf wird eine Baumgruppe zum Polizeirevier erklärt, die Jungen und Mädchen jagen sich als Polizisten oder Diebe oder kommen auf ganz neue Spielideen. Andere balancieren auf dicken Ästen, sammeln Stöcke, beobachten Insekten oder wuseln durchs Gebüsch. Zwei der jüngsten Kinder spielen "Klo" an einem Baumstamm. Andere schleppen Steine hoch auf die Wiese und singen dabei. Oben am Feuerplatz zupfen einige Mädchen lange Gräser und Blumen und flechten mit Hilfe der Erzieherin Kränze für ihr Haar. Ein Mädchen hat eine Raupe gefunden und bettet sie in Blätter, dann versammeln sich etliche Kinder neugierig um das kleine Tier, beratschlagen sich und bauen aus Steinen ein Haus für den winzigen Spielgefährten.
"Kinder lernen Gefahren selbst einzuschätzen - wenn man sie lässt", sagt Kelber
"Draußen ist es ganz anders als in der Gruppe. Es dauert 1-2 Tage, bis die Kinder in der Natur angekommen sind, aber dann werden sie selbstständig und kriegen ganz eigene Ideen. Wir müssen sie hier nur begleiten", erklärt Dannenberg. Die Spielideen entwickeln sich von selbst, ganz ohne vorgefertigtes Gerät oder Programm. Durch die fehlende räumliche Begrenzung seien die Kinder viel entspannter und es gebe deutlich weniger Konflikte. Kelber ergänzt, dass es in der KiTa gar nicht möglich sei, dass 6-8 Kinder so kooperativ miteinander spielen wie hier - schon allein deshalb, weil die Spielgeräte darauf gar nicht ausgelegt sind. Bei den Outdoor-Aktivitäten sei es allerdings wichtig, dass die ErzieherInnen gelassen bleiben und nicht ängstlich werden, wenn die Kinder beispielsweise auf Baumstämmen rumklettern: "Die Kinder müssen lernen, Gefahren selbst einzuschätzen und das können sie auch, wenn man sie lässt", ist Kelber überzeugt. Das sei heutzutage leider nicht mehr selbstverständlich, meint der Erzieher: "Man merkt den Kindern schnell an, ob sie Zuhause frei draußen spielen dürfen oder viel mit Medien bespaßt werden". An diesem Tag kommt es zwar vor, dass einzelne Kinder mal hinfallen, aber kein Kind tut sich ernsthaft weh und selbst die Kleinsten bewegen sich erstaunlich sicher durchs Gelände. Für den Fall der Fälle ist aber auch ein Erste-Hilfe-Set mit an Bord. Als ein Mädchen mit einem Stein an der Hand verletzt wird, leisten ein Pflaster, ein Coolpack und tröstende FreundInnen gute Dienste.
Draußen sein tut allen gut
Ein Highlight in der Naturwoche ist, dass das Mittagessen abgemeldet und jeden Tag draußen gegessen wird. Es gab beispielsweise schon Pesto aus wilden Brennesseln mit Fladenbrot oder Apfelkuchen mit selbst gesammelten Streuobst-Äpfeln. An diesem Mittwoch steht selbst gemachte Pizza am Lagerfeuer auf dem Programm. Während sich Christian Kelber um die Feuerstelle kümmert, knetet Mona Dannenberg den Pizzateig aus den mitgebrachten Lebensmitteln. Dann darf jedes Kind seinen Pizzafladen formen, das Belegen und Ausbacken auf dem heißen Grillrost übernehmen die ErzieherInnen. Als sich die Kinder zum gemeinsamen Essen um die Feuerstelle versammeln, wird es ganz ruhig. Nach der leckeren Feuer-Pizza packt die Dachsgruppe dann langsam zusammen und marschiert wieder zum Kindergarten zurück. Dannenberg und Kelber berichten, dass die Kinder in der Naturwoche am Nachmittag immer ziemlich müde und ruhig seien, ganz im Gegensatz zum sonstigen KiTa-Alltag. "Man merkt einfach unheimlich, dass es allen Kindern guttut, draußen zu sein", meint Dannenberg. Für Christian Kelber ist die Naturwoche auch ein wichtiger Kontrapunkt zur modernen "Übersättigung" an Freizeitaktivitäten: "Man braucht oft kein Programm, die Kinder wollen einfach nur spielen".