Türkische Delegation war zu Gast in Margetshöchheim - Gemeinde strebt neue Städtepartnerschaft mit Pozanti in der Türkei an

In der letzten Gemeinderatssitzung gab es außergewöhnliche Gäste zu begrüßen, denn eine Delegation der türkischen Gemeinde Pozanti war zu Besuch in Margetshöchheim. Mit der türkischen Kleinstadt, die durch die Bagdad-Bahn eine deutsche Historie hat, will Margetshöchheim nun eine neue Städtefreundschaft aufbauen.

In der Gemeinderatssitzung am 20. Februar nahmen außergewöhnliche Gäste teil, denn Margetshöchheim hatte eine Delegation der türkischen Gemeinde Pozanti aus der Region Adana (Osttürkei) zu Besuch. Pozantis Bürgermeister Mustafa Çay reiste mit Okan Akyüz und Erbil Bezengül (ein Vertreter und eine Vertreterin aus seinem Gemeinderat) aus der Türkei an und wurde von Dolmetscher Dr. Latif Çelik aus Würzburg sowie dem türkischen Vizekonsul aus Nürnberg, Adnan Bahcekoaral, nach Margetshöchheim begleitet. Eingeladen wurde die türkische Delegation von Bürgermeister Waldemar Brohm, der seit etlichen Jahren freundschaftliche Kontakte zu Pozantis Bürgermeister Mustafa Çay pflegt und dessen Heimatgemeinde schon einige Male besucht hat. Auch der türkische Ortsvorsteher war schon mehrmals Gast in Margetshöchheim. Bei einem der Besuche wuchs bei beiden Bürgermeistern der Wunsch, eine Städtefreundschaft zwischen den zwei Gemeinden aufzubauen, berichtete Brohm in der Sitzung und erläuterte, wie sich die beiden kennengelernt haben. Der Kontakt kam durch Umwege nach der MainArt 2009 zustande, die unter dem Motto "Multikulti" stattfand und bei der die türkische Community eine wichtige Rolle spielte. Im Jahr zuvor hatte der türkischstämmige Historiker Dr. Latif Çelik aus Würzburg das Buch "Türkische Spuren in Deutschland" veröffentlicht; eine Ausstellung über das Leben der türkischen Gastarbeiter in Deutschland war nicht nur in Berlin und anderen Großstädten, sondern als kleinstem Ausstellungsort damals auch bei der MainArt in Margetshöchheim zu sehen. Dr. Çelik wurde nahe Pozanti in der türkischen Region Adana geboren, lebt, forscht und publiziert aber seit den 1980er Jahren in Deutschland und wohnte einige Jahre in der Dorfstraße in Margetshöchheim, bevor er nach Würzburg zog und dort das Institut für Kultur-, Geschichts- und Integrationsstudien gründete; über ihn kam schließlich der Kontakt zwischen Waldemar Brohm und Pozantis Bürgermeister Mustafa Çay zustande und entwickelte sich im Lauf der Jahre zu einer Freundschaft. Der Historiker Dr. Çelik berichtete in der Sitzung, dass es in der Region Würzburg schon seit Jahrhunderten intensive deutsch-türkische Beziehungen gibt. In Deutschland bildet die türkischstämmige Community mit rund 3 Milionen Menschen die größte Gruppe von BürgerInnen mit Migrationshintergrund; auch in Margetshöchheim leben etliche EinwohnerInnen mit türkischen Wurzeln.

Der Besuch der türkischen Delegation im Margetshöchheimer Rathaus (von links): Dolmetscher Dr. Latif Çelik aus Würzburg, Pozantis Bürgermeister Mustafa Çay, Bürgermeister Waldemar Brohm, der türkische Vizekonsul Adnan Bahcekoaral. (Foto: Tina Göpfert)

Der türkische Bürgermeister freute sich, dass der nach eigenen Worten "warmherzige Mustafa Çay und der warmherzige Waldemar Brohm" eine Städtefreundschaft beginnen können. (Foto: Tina Göpfert)

 

Im Rathaus sind bis 5. März Fotos von Pozanti ausgestellt

Die Beziehungen sind aber alles andere als einseitig: Die Region Adana und die Kleinstadt Pozanti mit ihren rund 5.000 EinwohnerInnen können auf eine über 100 Jahre währende deutsche Historie zurückblicken, denn im Ortsteil Belemedik wurde während des Deutschen Reiches ab 1911 eine Trasse der sogenannten Bagdadbahn gebaut, die Berlin mit Bagdad im heutigen Irak verbinden sollte und mitten durch die Türkei führt. Für das seinerzeit größte Infrastrukturprojekt des Kontinents wurde bereits 1889 die Anatolische Eisenbahngesellschaft in Deutschland gegründet und zusammen mit Frankreich finanziert. Pozantis Bürgermeister Çay berichtete mithilfe von Dr. Çelik als Dolmetscher in der Gemeinderatssitzung eindrücklich, welche Spuren das deutsche Bauprojekt in der Region hinterlassen hat: "Wir haben im Taurusgebirge Tunnel, den deutschen Bahnhof, deutsche Namen und beliebte Sehenswürdigkeiten. Die tiefsten deutschen Wurzeln in der Türkei sind in Pozanti", sagte er. Seit seinem Amtsantritt 2009 arbeitet Bürgermeister Çay daran, die deutsche Geschichte der Region wieder zum Leben zu erwecken, indem er die Ruinen freilegt und Denkmäler restauriert, darunter deutsche Dörfer, Krankenhäuser, Gräber und andere Sehenswürdigkeiten. Zudem hat die Gemeinde ein 400 Seiten starkes Buch über die deutsche Geschichte in der Region herausgegeben, erklärte Çay. Für Margetshöchheim hat die Delegation Flyer über die Sightseeing-Routen und großformatige Fotos von Pozanti mitgebracht; die Fotoausstellung wurde kurz vor der Gemeinderatssitzung mit dem türkischen Vizekonsul Adnan Bahcekoaral eröfnet und ist noch bis zum 5. März im Rathaus zu sehen. "Wir machen das nicht zum Geldverdienen, sondern um die Geschichte zu zeigen", meinte Pozantis Bürgermeister in der Sitzung. Bei Wochenendtouristen seien die Sehenswürdigkeiten beliebt, und die Region punktet mit einer guten Verkehrsanbindung - auf der Trasse der Bagdadbahn fahren heute noch Züge und die Autobahn in der Region verbinde Europa und das Osmanische Reich, so Çay. "Es ist heute noch eine strategisch wichtige Verbindungsstraße, zum Beispiel für die NATO", so der türkische Bürgermeister. Çay fügte hinzu: "Ich bin sehr froh und stolz, dass ich meine Gemeinde in Margetshöchheim vorstellen darf und die deutsch-türkische Freundschaft fördern kann".

Im Rathaus zeigt eine Fotoausstellung die Region Pozanti und die Funde der deutschen Besiedelung dort. (Foto: Tina Göpfert)

 

Die Städtefreundschaft mit Pozanti soll keine Konkurrenz zur französischen Partnergemeinde werden

Die deutsch-türkische Freundschaft möchte auch Bürgermeister Brohm vertiefen und war deshalb bestrebt, eine Städtefreundschaft zwischen den beiden Gemeinden auf den Weg bringen. Er berichtete, dass der Gemeinderat in Pozanti wie in Margetshöchheim 16 Mitglieder aus drei Parteien habe und der Bürgermeister seit 12 Jahren amtiere. Brohm betonte, dass Çay "nicht der Partei angehört, die in der Türkei gerade die Verantwortung trägt", sondern einer Art Wählervereinigung. Er verdeutlichte außerdem, dass eine Städtefreundschaft mit Pozanti keinesfalls als Konkurrenz zur französischen Partnergemeinde Biéville-Beuville verstanden werden solle. Gemeinderätin Ursula Grosch (MM) hakte nach, ob es in der Bundesrepublik schon Beispiele deutsch-türkischer Städtepartnerschaften gebe, was Dr. Çelik bejahte: "Es gibt sogar Hunderte". Der Gemeinderat begrüßte den internationalen Austausch und stimmte der Städtefreundschaft mit Pozanti einstimmig zu. Die Entscheidung wurde vom Gemeinderat und den Gästen aus der Türkei mit Applaus honoriert. Im Lauf der Zeit gelte es diese Partnerschaft nun mit Leben zu füllen, meinte Bürgermeister Brohm. Denkbar seien beispielweise Schüleraustausche usw. Eine erste Idee besteht darin, die türkische Partnergemeinde irgendwann mit einer eigenen Delegation zu besuchen.

Die türkischen Besucher brachten ein Gastgeschenk mit, das die Verbundenheit der beiden Gemeinden zeigt. Von links: Vizekonsul Adnan Bahcekoaral, Dolmetscher Dr. Latif Çelik aus Würzburg, Pozantis Bürgermeister Mustafa Çay, Bürgermeister Waldemar Brohm. (Foto: Waldemar Brohm)

 

Margetshöchheim unterstützte Pozanti letzten Sommer nach den schweren Erdbeben in der Osttürkei

Margetshöchheim durfte die türkische Delegation am Dienstag bereits ausgiebig kennenlernen: Zusammen mit Bürgermeister Brohm besichtigten die Gäste das Rathaus und die Verwaltung, den Bauhof, die Mainlände, den Höchheimer Mainsteg, das Sportzentrum, den Umbau der Schule, den alten Friedhof usw. Nach der feierlichen Eröffnung der Fotoausstellung und der Gemeinderatssitzung stand noch ein Abendessen auf dem Programm. Neben einem Besuch beim Türkischen Freundschaftsverein in Würzburg war die türkische Delegation im Landkreis unterwegs und bei Landrat Thomas Eberth zu Gast, ehe der Rückflug anstand. In Anwesenheit des Vizekonsuls bedankte sich Pozantis Bürgermeister Mustafa Çay noch ausdrücklich bei Bürgermeister Waldemar Brohm für die großzügige Spende für die Erdbebenopfer im vergangenen Sommer. Im März 2023 waren die Osttürkei und Teile Syriens von einem verheerenden Erdbeben heimgesucht worden und die Naturkatastrophe sorgte durch die engen Kontakte nach Pozanti auch in Margetshöchheim für Gänsehaut. Durch die freundschaftliche Verbindung in die Türkei wurde den SchülerInnen der Mittelschule die Tragweite der Zerstörung und des Leids deutlich, berichtete damals Schulleiter Stephan Becker. Pozanti liegt nahe der vom Erdbeben verwüsteten Provinz Hattay, Bürgermeister Çay war damals für die Koordinierung der Hilfslieferungen in die Region zuständig. Mit einem Spendenlauf sammelten die FünftklässlerInnen der Mittelschule damals 1.100 Euro Spendengeld ein und übergaben diese an Bürgermeister Brohm, der das Geld im Juli 2023 zusammen mit einer eigenen Spende und 500 Euro von einem türkischen Mitbürger überwies. Von Pozanti aus wurden laut Bürgermeister Çay rund 1.000 Erdbebenopfer versorgt, von den Margetshöchheimer Spenden wurden Zelte, Decken, Nahrungsmittel und Wasser besorgt.

 

Die Stadt Pozanti (blau eingekreist) liegt im Osten der Türkei in der Region Adana. (Grafik: Screenshot Google Maps)